Jüdische Geschichte vor Ort entdecken
Am Donnerstag, den 23.05.2024, lernten die evangelischen Religionsschüler der Klassen 10 b, c und d nicht wie gewöhnlich im Klassenzimmer, sondern begaben sich auf religiöse Spurensuche in der Nähe des Schulgebäudes.
„Christentum und Judentum: Eine leidvolle Geschichte!?“ lautet der Titel der Unterrichtseinheit, im Rahmen derer sich die Schülerinnen und Schüler mit ihrer Lehrerin Sophia Schneider auf diese kleine Exkursion begaben. Hierfür konnte auch der Kollege Janik Steinmacher gewonnen werden, der den Schülerinnen und Schülern die jüdische Lokalgeschichte näherbrachte.
Zuerst wurde der alte jüdische Friedhof in Schlüchtern aufgesucht, der sich in der Breitenbacher Straße, direkt rechts neben dem Stadthotel, befindet. Dort angekommen, erkundeten die Lernenden den Friedhof zunächst selbstständig und machten verschiedene Entdeckungen: So stellten Schüler zum Beispiel fest, dass einige Grabsteine offensichtlich zerbrochen worden waren und später wieder zusammengefügt wurden. Dies liegt daran, wie die Lernenden später erfuhren, dass das Friedhofsgrundstück während der NS-Zeit vom Besitzer der Seifenfabrik Eugen Heinlein erworben worden war, um dort die Wäscherei zu erweitern. Die Grabsteine wurden in diesem Zusammenhang als Baumaterial genutzt und teilweise zerbrochen. Nachdem man Heinlein nach dem Zweiten Weltkrieg dieser Straftat überführt hatte, versuchte man, die Grabsteine als auch den Friedhof wiederherzustellen.


Auch mit Blick auf die Gestaltung der Grabsteine konnten die Sekundaner Besonderheiten feststellen: Einige Grabsteine im hinteren Bereich des Friedhofs sind sehr alt, schlicht gehalten und stammen noch aus dem Mittelalter, andere weisen Verzierungen auf und erinnern stark an christliche Grabsteine. Dieser Unterschied sei darauf zurückzuführen, wie Herr Steinmacher ausführte, dass sich viele Juden im 19. Jahrhundert an die christliche Mehrheitsgesellschaft, auch in der Begräbniskultur, anpassten.
Zudem fiel die auf den Grabsteinen zu findende Symbolik den Lernenden ins Auge: Neben dem Davidsstern als bekanntem Symbol Israels als Staat des jüdischen Volkes, konnten auf einem Grabstein zwei Hände mit auseinandergespreizten Fingern entdeckt werden. Diese zeigen an, dass dort ein jüdischer Priester, ein Cohen, begraben liegt, der im Judentum für die Spendung des Segens zuständig ist
Nach dem Besuch des Friedhofs machten die Lernenden noch vor zwei Häusern Halt, vor denen Stolpersteine verlegt worden sind. So erfuhren die Schülerinnen und Schüler etwa, dass in der Obertorstraße 4 einst die jüdischen Familien Hubert und Goldschmidt lebten. Die Stolpersteine wurden zuvor auch im Unterricht thematisiert.

Durch die Exkursion, nur wenige Meter vom Klassenzimmer entfernt, wurde den Schülerinnen und Schülern bewusst, wie sehr das jüdische Leben das Schlüchterner Stadtbild prägte und auch immer noch prägt.
Text: Janik Steinmacher, Lehrkraft
Fotos: Sophia Schneider, StRn